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Glaubenskrieg um ein Bordell
Pseudoliberal gegen scheinheilig: Die Entscheidungsschlacht
ist vertagt
So ein Pech aber auch! Der Aufmarsch ins Rathaus war organisiert,
die Messer - im übertragenem Sinne - waren gewetzt, der göttliche
Beistand war, wie bei Glaubenskriegen üblich, erfleht. Kurzum: einer
erfolgreichen Mission stand nichts mehr im Wege, zumal sich eine Mehrheit
im Gemeinderat bereits zur Kapitulation entschlossen hatte. Und jetzt
das: Kein Bordell auf der Tagesordnung, die Mobilisierung kann, weil
die Stadt den (Um)weg über eine Sperrzonenverordnung mit Toleranzzonenausweisung
geht, zunächst einmal abgeblasen werden. Wer geht schon in eine
Sitzung, in der es nur um den Flächennutzungsplan und um die läppische
Frage geht, wie Schorndorf bis zum Jahre 2015 mit seinem Flächenressourcen
verfährt?! Wer hat denn jemals geglaubt, dass das Schicksal der
Welt und der nachfolgenden Generation davon abhängt, wie die jeweils
mehr oder weniger verantwortlich handelnde Generation mit der Schöpfung
- Gottes Schöpfung! - umgeht?! Nein: Die Zukunft unserer Kinder
hängt ausschließlich davon ab, ob in Schorndorf ein Bordell
zugelassen wird. Erinnern wir uns an die Ausgangslage. Zunächst
einmal war´s eine schnell erstaunlich weite Kreise ziehende Standortdiskussion
(Stuttgarter Straße), verschärft um den Aspekt, dass es sich
um ein der Stadt beziehungsweise der städtischen Wohnbaugesellschaft
gehörendes Gebäude handelt, in welches das Laster einziehen
soll. Über beides ließe sich sachlich und vernünftig
diskutieren. Und man kann durchaus geteilter Meinung sein, ob ein Bordell
am Stadteingang eine Stadt ziert. Oder ob´s nicht sogar von Vorteil
ist, wenn die Stadt als Vermieterin auf so einer Einrichtung den Daumen
draufhat - ohne dass sie sich deshalb gleich als "Zuhälterin" beschimpfen
lassen muss. Beziehungsweise der Oberbürgermeister als "oberster
Zuhälter".
Betrachten wir´s mal aus seiner, Küblers,
ganz persönlicher Sicht. Da ist ein bislang als Asylbewerberwohnheim
genutztes Gebäude, das am 1. August leer steht, was bedeutet, dass
jährliche Mieteinnahmen in einer Größenordnung von 100
000 Euro wegfallen, auf die Kübler sowohl als Oberbürgermeister
als auch als Aufsichtsratsvorsitzender der SWS nicht oder zumindest nicht
ganz verzichten will. Und weil keine andere Nutzung in Sicht ist, die
der Stadt einerseits hohe Renovierungskosten erspart und ihr andererseits
gesicherte Einnahmen garantiert, darf´s halt auch ein Bordell sein.
Zumal damit weitere Standortnachfragen erledigt werden könnten.
Möglicherweise aber war das Bordell zunächst auch nur als Druckmittel
gedacht in der Hoffnung, einen Zahlungskräftigen Nachbarn, der sein
sternstrahlendes Unternehmen nicht mit Rotlicht in Verbindung gebracht
sehen will, zum Kauf der heruntergewirtschafteten Immobilie zu bewegen.
Dass der werterzkonservative Winfried Kübler sich in dieser Situation nicht
auf formale und kommunalpolitische Aspekte beschränkt, sondern eine gesellschaftspolitische
Diskussion über Prostitution begonnen und sich dabei - mutig und glaubwürdig
für die einen, zweckdienlich und unglaubwürdig für die anderen
- einen (pseudo?)liberalen Mantel umgehängt hat, hat erstens gegenüber
Kübler gepflegte Freund-Feind-Bild ganz gehörig durcheinander gebracht,
und zweitens einen pietistisch und freikirchlich fundamentalisierten Glaubenskrieg
ausgelöst, bei dem einige Maßstäbe ganz gehörig "verrückt" -
auch wortwörtlich zu nehmen - worden sind.
Das fängt an bei der Kampfansage "Kein Bordell in Schorndorf" (Unser
Motto lautet "Kein Bordell 'für' Schorndorf" Anm. des Homepage-Redakteurs
- Wer lesen kann ist klar im Vorteil ;-) ), die den Ausgangspunkt der Auseinandersetzung
längst nicht mehr widerspiegelt: Die ist so unzutreffend, wie absurd, weil
es auch in Schorndorf solche Einrichtungen, wenn auch in kleinerem Maßstab,
längst gibt, und weil sich die gesellschaftliche Realität, dass es
die "Dienstleistung" Prostitution immer gegeben hat und immer geben
wird, ernsthaft nicht leugnen lässt. Da mögen noch so heile Familien-,
Frauen-, Männer- und Weltbilder beschworen werden. Was nicht heißt,
dass Ursachen und Wirkungen von Prostitution nicht kritisch hinterfragt und thematisiert
werden dürfen. Gegebenenfalls auch von einem ehemaligen Zuhälter, der
einer ganzen bedrängten Christenschar auf einmal als Heilsbringer erscheint.
Das mit den "verrückten" Maßstäben geht weiter beim
Aufruf zum zivilem Ungehorsam, verbunden mit der unverhohlenen Aufforderung,
Männer, die ins Bordell gehen, bei ihren Frauen - so vorhanden, wie immer
immer unterstellt wird - mit Hilfe der Autokennzeichen zu denunzieren. Das grenzt,
auch wenn´s vom Geschlecht her nicht ganz passt, an Hexenverfolgung. Und
wer in diesem Zusammenhang zivilen Ungehorsam einfordert, der hat vergessen,
wo die wirklichen Probleme liegen, von denen es manche wirklich verdienten, dass
sich Christen auflehnen, Mahnwachen organisieren und Unterschriften sammeln.
Allerdings nicht mit dieser militanten Attitude, wie das beim Bordell geschehen
ist, weshalb sich immer wieder aufkeimende Forderungen nach einem Bürgerbegehren
von selbst erledigen. Was für eine schein-heilige Anmaßung, Menschen
zu diffamieren und als "Antichrist" abzuqualifizieren, nur weil sie
eine andere gesellschaftspolitische Realitäten zur Kenntnis nehmende Meinung
und vielleicht sogar das relative Wohl der Frauen im Auge haben, die sich auf
diese Art und Weise ihr Geld verdienen wollen oder müssen.
All denen, die jetzt auf der Straße und in Leserbriefen so selbstgerecht
und hochmütig-pharisäerhaft eifern, sei gesagt: So wenig wie Schorndorf
jemals "Schwäbisch-Jerusalem" war, so wenig wird es jemals Sodom
und Gomorrah sein. Schorndorf ist nicht mehr und nicht weniger als eine - in
aller Regel - liebenswerte Kleinstadt, in der es aber all das auch gibt, was
es woanders gibt: Mord, Selbstmord, gewalt, Drogen, Sex bis hin zur Prostitution.
Wer den verfall von Sitte und Moral beklagen wollte, der konnte das bislang schon
guten Gewissens tun. Dazu braucht´s kein weiteres Bordell. Das aber wird
kommen. In der Stuttgarter Straße oder anderswo. Früher oder später.
Im schlimmsten Fall illegal und dann ohne große öffentliche Erregung.
Schließlich: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Hauptsache,
die Fassade ist in Ordnung. A propos Pharisäer: Wir wissen aus der Bibel,
dass es Jesus mitunter leichter gefallen ist, Huren ihre Sünden zu verzeihen,
als sich mit Pharisäern zu identifizieren. Es scheint also schlimmeres zu
geben als ein Bordell.
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